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  • Politik
  • ERNEST KALTENEGGER, kommunistischer Gemeinderat von Graz, im ND-Gespräch

Das rote Telefon in der Steiermark

  • Lesedauer: 4 Min.

1981 zog der österreichische Kommunist ERNEST KAL-TENEGGER zum ersten Mal in den Gemeinderat von Graz, der Landeshauptstadt der Steiermark, ein. Bei der Gemeinderatswahl im Januar dieses Jahres erzielte die KP Österreichs mit 5 647 Stimmen (4,2 Prozent) das beste Ergebnis seit 1953. Erstmals seit 40 Jahren hat die KPÖ auch ein zweites Mandat im Grazer Rathaus. Das hat nicht nur die politischen Gegner und die Medien überrascht, sondern auch die KP-Mitglieder selbst. Mit dem Kommunalpolitiker sprach für ND AD ALBERT KLAWEK.

Landläufig hört man, die KPÖ ist „out“, sie ist, wenn noch vorhanden, jedenfalls nicht auffindbar.

Ein Journalist hat ironisch geschrieben, die österreichischen Kommunisten seien „stark wie der russische Bär“, also äußerst schwach, und „selten wie der tibetische Yeti“. Zwar haben uns die Ereignisse der letzten Jahre arg durchgeschüttelt, aber es gibt uns noch. Wahrscheinlich auch ein paar mehr als Yetis. Im Parlament ist die KPÖ nicht vertreten. Unsere Arbeit und unsere Chancen liegen derzeit eher im kommunalen oder betrieblichen Bereich. Sicher nicht bei überregionalen Wahlen. Und damit werden wir wohl noch längere Zeit leben müssen.

Man hört in Graz, daß Ihre besondere Aktivität bei Woh-

nungssorgen, Mieten usw. Ihnen viel Sympathie einbrachte. Auch sollen Sie, ähnlich dem Notruf für Drogensüchtige oder bedrängte Frauen, ein Telefon für Wohnungssorgen eingerichtet haben. Das erste dieser Art in der Welt, sagt man. Sind denn diese Probleme in Graz so gravierend?

Die KPÖ Graz versuchte, sich in den letzten Jahren als „Mieterpartei“ zu profilieren. Der Durchbruch gelang mit diesem erwähnten Notruf telefon für Spekulantenopfer. Da haben die Anrufer gemerkt, die speisen uns nicht mit Phrasen ab, die helfen konkret. Wir haben uns ein wenig , von den französischen Genossen unserer Partnerstadt Lille abgeschaut. Wenn dort beispielsweise eine Delogierung droht, ist die KPÖ eine „heiße Adresse“. Meist genügt ein Anruf und schon ist eine Gruppe zur Stelle, die den Hinauswurf aus der Wohnung zu verhindern sucht. Leider gibt es bei uns solche kämpferischen Traditionen nicht mehr. Unsere Leute sind für solche Aktionen zu bieder, auch fehlt der KPÖ derzeit die Kraft. Wir entschlossen uns zu einer österreichischen Variante. Wir haben bei uns noch ein Mieterrechtsgesetz mit relativ gutem Schutz bestehender Mietverträge, einschließlich gesetzlicher Preisregelung bei Altbauten. Nun versuchen Spekulanten immer öfter, die Mieter aus ihren Wohnungen

zu verdrängen, um in guter Lage aus einer Altbauwohnung ein profitableres Büro oder eine Arztpraxis zu machen. Da ist man nicht zimperlich: Leuten wurde das Dach über dem Kopf abgedeckt, oder man hatte zu den Weihnachtsfeiertagen den Mietern Gas und Wasser abge-. sperrt. Besonders ältere Menschen oder sozial Schwache trauen sich oft nicht, ihre rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen. Hier greifen wir ein. Unter der Notrufnummer 91 24 79 erreicht man uns.

Ja, und was passiert dann?

Umgehend schauen wir uns die Sache an. In schlimmen Fällen organisieren wir eine Pressekonferenz vor Ort, um die Schweinerei publik zu machen. En Anwalt übernimmt bei Bedarf die Vertretung der bedrohten Mieter. Die KPÖ trägt das Kostenrisiko.

Das ist für die kleine Partei zu schaffen?

Die Sache kommt billiger, als wir ursprünglich angenommen haben. Verliert nämlich die Gegenpartei den Prozeß, und das ist meistens der Fall, so muß sie auch Anwaltsund Verfahrenskosten tragen. Vor längerer Zeit hatte ich im Gemeinderat von Graz beantragt, die Stadt solle einen Rechtshilfefonds für Spekulantenopfer einrichten. Man hat damals abgelehnt. Sie können sich vorstellen, daß die verantwortlichen Stadträ-

te sich heute am liebsten .,. Inzwischen haben Hunderte Grazerinnen und Grazer allein in diesem Jahr von der Hilfseinrichtung Gebrauch gemacht. Viele brauchten nur eine Auskunft oder wollten nur ihren Mietvertrag überprüfen lassen. Jeden Dienstag haben wir auch Sprechtag in Mietrechtsangelegenheiten. Unser Klientel kommt aus vielen Schichten der Bevölkerung, vom Arbeitslosen über den Kleinunternehmer bis zum Universitätsprofessor. Die schweren ungelösten Wohnungsprobleme in einem der reichsten Länder dieser Erde wie Österreich zeigen manchmal, daß der Kapitalismus, wie man so sagt, „nicht das Gelbe vom Ei“ ist.

Wie sehen Sie überhaupt die Zukunft?

Nicht gerade rosig. Die Neutralität, mit der unser Volk 35 Jahre lang gut fuhr, ist nach Meinung zahlreicher Regierungspolitiker „obsolet“ geworden. Sie können es nicht erwarten, endlich in die EG und die westeuropäische Verteidigungsunion zu kommen, obwohl die Mehrheit des Volkes für Neutralität ist. Als Teil der EG-kritischen Kräfte hat unsere Partei in den nächsten Jahren ein großes Betätigungsfeld. Auch sonst müßte es für uns gar nicht trostlos ausschauen. Wir dürfen uns nur nicht durch parteiinternes Gezänk und Dummheiten selbst ins Abseits stellen.

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